Erinnern Sie sich an Grimms-Märchen «Der süsse Brei»? Er überzog die ganze Stadt, weil man vergessen hatte, wie man ihn stoppt. Dieses Bild kommt mir in den Sinn, wenn ich an das Wachstum der Tarifverbünde denke. Vielleicht reist man bald mit dem Ostschweizer Tarifverbund «Ostwind» bis zum Genfersee*?!
Die ursprüngliche Idee der Tarifverbunde war, Städte mit ihrer Agglomeration zu verbinden. Wohnt man etwas ausserhalb, kann man mit dem Verbundabo bequem in die Stadt zur Arbeit pendeln. Einkaufen in der Stadt oder im Nachbarort, kein Problem – man darf alle Transportmittel in den gelösten Zonen nutzen.
So funktioniert es noch immer, nur ist diese Art Verkehr meist nur noch der kleinste Teil eines Verbunds. Wollen Sie beispielsweise von Schaffhausen nach Lichtenstein, dann können Sie das mit dem Ostwind. Sie durchqueren dafür unzählige Zonen. In jeder einzelnen Zone haben Sie das Recht gekauft und gezahlt, alle Transportmittel zu nutzen. Wenn Sie das machen wollten, wären Sie wohl Monate beschäftigt.
Der Wachstumshunger der Verbünde ist gross. Aber er hat einen Pferdefuss: Die immer grösseren Distanzen wollen gezahlt sein, das heisst Langstrecken-Verbund-Abos sind: Teuer! So teuer, dass Sie schon heute oft sehr nahe am GA-Preis liegen. In diesen Fällen entscheiden sich die Nutzer mehrheitlich, wen wundert’s, für ein GA statt für ein Verbundabo. Das GA ist also de facto die natürliche Preisobergrenze für alle anderen Abonnemente. Deshalb muss man sich im Klaren sein: Wenn man über GA-Preissteigerungen sinniert, spielt man mit der Büchse der Pandora. Steigen die GA-Preise, bedeutet das eben auch mehr Preisspielraum für die Verbundabonnemente. Richtung? Nach oben!
Die gegenwärtige Diskussion um den GA-Preis vernebelt dabei leider das eigentliche Gebot der Stunde: Nämlich Tarifsenkungen!
Der Fernverkehr fährt kostendeckend, er wird zu 100% nutzerfinanziert. Subventionen sind hier nicht zu finden. Ein «angemessener Gewinn» hingegen darf erwirtschaftet werden. Der Bund als Eigner der SBB verzichtet auf Dividendenzahlungen. Allfällige Gewinne verbleiben also vollständig bei der SBB. 2018 erwirtschaftete der Fernverkehr einen Gewinn von 176 Millionen CHF. Insgesamt verfügen die SBB derzeit über einbehaltene Gewinne von rund 1.5 Mrd. CHF.
Es war die Finanzierungssituation des subventionierten Regionalverkehrs, die Tarifsenkungen in der Vergangenheit verunmöglichte. Aber hier hat sich die Situation entscheidend verändert: Die Nutzerfinanzierung ist über die letzten Jahre ist deutlich gestiegen. 2014 gab es eine (falsch prognostizierte) Finanzierungslücke im Regionalverkehr, die zu einer rund 3%-igen Tariferhöhung führte. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass es Kosten in dieser Höhe nie gegeben hat. Den Postautoskandal und die Rückzahlungen der BLS haben die Kundinnen und Kunden über die zu hoch dimensionierte Tariferhöhung 2014 mitfinanziert. Das alles wirkt bis heute nach.
Und es gibt weitere Faktoren, die die Finanzierungssituation des Regionalverkehrs verbessert haben bzw. werden. Zu nennen wären: Die Senkung des Mehrwertsteuersatzes 2018. Sie wurde von den allermeisten Verbünden einbehalten und nicht an die Kunden weitergegeben. Der Trassenpreis, den auch der Regionalverkehr für die Benutzung der Schienen zahlt, soll ab 2021 zum ersten Mal seit langem sinken. Dies wird vermutlich allein im Regionalverkehr Kosteneinsparungen von 30 Millionen CHF bringen. Ausserdem zu nennen ist der grossflächige Wegfall der sogenannten Einnahmenausfallentschädigung, der zu Kosteneinsparungen bei den Kantonen bzw. direkt beim ZVV führt. (Einnahmenausfallentschädigung sind die Entschädigungen, die der Verbund an den Fernverkehr zahlen musste, wenn dieser im Verbundgebiet zu tieferen Ansätzen unterwegs war: Diese Kompensationskosten der Kantone bzw. des ZVV an die SBB Fernverkehr werden inskünftig entfallen). Last but not least, darf nicht vergessen werden, dass mit der neuen (angefochtenen) Konzessionsvergabe bis eine bis dato defizitäre Regionalverkehrslinie zur Fernverkehrslinie aufgewertet worden ist. Will heissen, die Abgeltungen für diese Linie entfallen nun.
Insgesamt betrachtet, werden Besteller und Transportunternehmen im Regionalverkehr jährlich in hoher zweistelliger Millionenhöhe entlastet. Sie haben also weniger Kosten. Folglich wird einiges Geld mehr in den Kassen der Kantone und Verbünde bleiben.
Kurzum: Ändert sich hinsichtlich der Tarife nichts, werden nicht nur die Kunden des Fernverkehrs über Gebühr belastet, sondern auch die Regionalverkehrs-Kunden. Die Kunden im Regionalverkehr haben über Jahre immer mehr bezahlt, während die Abgeltungen zurückgefahren wurden. Deshalb sind Tarifsenkungen im gesamten öV ein notwendiger Schritt in Sachen Preis-Fairness für die Kundinnen und Kunden.
Affair à suivre.
+++ Wer, was, wie, wo, welche Zusammenhänge und Abhängigkeiten gibt es im öV? +++
Hier der Versuch einer Erklärung. Es geht um 6 Mrd. Franken. Weil es mehr ein Epos als ein Blog ist, kommt es als PDF:
Wie funktioniert der öV.pdf (1.011,01 kb)
Comment fonctionnent les transports publics.pdf (1,27 mb)
Come funziona il settore dei trasporti pubblici.pdf (1,32 mb)
*Am Tarifverbund Ostwind beteiligte Kantone: St.Gallen, Thurgau, Appenzell AR, Appenzell AI, Glarus, Schwyz, Schaffhausen. Darüber hinaus gibt es eine Kooperation mit dem Fürstentum Liechtenstein.
Im Jahr 2014 hatte der direkte Verkehr und mit ihm die Verbünde eine lineare Erhöhung der Preise im öffentlichen Personenverkehr von rund 3 Prozent beschlossen. Begründet wurde die Erhöhung damals mit einem prognostizierten Fehlbetrag (sog. Abgeltungslücke) von 90 Mio. Franken im Regionalverkehr. Im Klartext, die öffentliche Hand wollte nicht ausreichende Mittel zur Verfügung stellen, um die bestellten Leistungen zu finanzieren, die Passagiere wurden deshalb verstärkt zur Kasse gebeten.
Nun zeigte sich, dass die Rechnung fehlkalkuliert war. Die zusätzlichen Kosten waren bei Weitem nicht so hoch wie angenommen. Da die Finanzierungslücke aus zusätzlichen Subventionen und Preiserhöhungen finanziert wurde, heisst das nichts Anderes als dass a) zu viele Subventionen gezahlt wurden (Postauto / BLS) und b) die Preiserhöhung für die Nutzer zu hoch war. Die Subventionen müssen nun zurückgezahlt werden. Aber was ist mit den zu viel bezahlten Geldern der Kunden? Diese Frage drängt sich auf, gerade wenn man sich die heutige Situation anschaut:
Der regionale Personenverkehr der SBB konnte seinen Kostendeckungsgrad erneut steigern. Die Passagiere bezahlen also mehr, der Subventionsgeber weniger. Die SBB schreiben Gewinne im Regional- und im Fernverkehr. Im Fernverkehr kann man ihr Ergebnis getrost als «bombig» bezeichnen.
Ausserdem wird der Bund die Trassenpreise wieder senken, da die Schäden, welche durch die Benutzung der Schienen entstehen, dank besserem Rollmaterial in den letzten Jahren zurückgegangen sind.
Summa summarum ist die Lage heute nicht unähnlich derjenigen in 2014 - aber mit umgekehrten Vorzeichen!
Zumindest im direkten Verkehr wäre es deshalb nichts als folgerichtig Massnahmen, nämlich Preissenkungen, zu ergreifen, die den Gewinn im Fernverkehr wieder in Richtung «angemessen» zurückschrauben und die Nutzer an den Kostensenkungserfolgen beteiligen.
Aus Sicht der Nutzer sind Preissenkungen dringend angebracht: Drei Viertel der Teilnehmer einer Bevölkerungsumfrage erachten das Preis-Leistungsangebot der SBB als schlecht oder gerade noch so genügend. SBB CEO A. Meyer hat in einem Interview zur Jahresmedienkonferenz erklärt, die Situation erkannt zu haben und sich für Preissenkungen oder zumindest für stabile Preise einzusetzen.
Herr Meyer, in dieser Sache stehe ich fest an Ihrer Seite!
Da auch der Rest der Branche von den Entwicklungen nachhaltig profitiert hat (vergessen wir nicht die Nichtweitergabe der Mehrwertsteuer-Satzsenkung in den meisten Verbünden!), sehe ich keine plausiblen Gründe, den schönen Worten nun nicht auch Taten folgen zu lassen.
E-Autos, E-Bike, E-Zigaretten, E-Reader – die elektronischen-Versionen altbekannter Dinge übernehmen unser Leben mit allen Vor- und Nachteilen.
Theoretisch ist Vieles möglich: langlebige Produkte, positive Effekte auf Mensch und Umwelt, vertretbare Preise. Fast zu gut, um wahr zu sein – aus Sicht der Konsumenten. Einen anderen Blickwinkel haben die Unternehmen: Positive Effekte auf Mensch und Umwelt sind Argumente, die für Käufer und Verkäufer stimmen. Ganz anders sieht es jedoch bei der Langlebigkeit der Produkte aus. Paart sie sich noch mit Preisen, die das Resultat von starkem Wettbewerb sind, ist das ein wahrer Albtraum in Hinblick auf den Unternehmensgewinn. Wie kann man - unter diesen Bedingungen - langfristig die lebenswichtigen Gewinne sichern, ist die Frage aller Fragen.
Wo ein Wille, da ein Weg. Im Fall der E-Fahrzeuge hat man das Rad nicht neu erfunden, sondern bedient sich einer altbekannten Methode – nennen wir sie «die Kaffeemaschinen- und Druckermethode». Das Prinzip ist simpel: Man verkauft das eigentliche Gerät zu einem attraktiven Wettbewerbspreis, den eigentlichen Gewinn aber macht man erst im Nachhinein mit dem Verkauf wichtiger Komponenten. Was bei Kaffeemaschinen die Kapseln, bei Druckern die Patronen, sind bei E-Fahrzeugen die Batterien oder Akkus. Das wäre per se in Ordnung, wenn alle Beteiligten wissen, worauf sie sich einlassen. Aber genau da liegt oftmals der Hase im Pfeffer.
So auch bei den E-Fahrzeugen. Eine Umfrage des Kassensturz’ zeigt, dass die Preistransparenz für E-Auto Batterien bei vielen Herstellern und Händlern mangelhaft ist. Die Preise für die Ersatzbatterien - die erste Batterie hält meist nicht über die gesamte Lebensdauer - sind in den allermeisten Fällen so astronomisch hoch, dass der Kunde den Kauf eines Neufahrzeugs ernsthaft prüfen muss.
Konkrete Informationen dazu erhält er beim Kauf eines solchen Fahrzeugs aber in der Regel nicht.
Eine funktionierende Marktwirtschaft basiert darauf, dass sich Anbieter und Nachfrage auf Augenhöhe begegnen, das heisst, beide müssen Zugang zu den relevanten Informationen haben. Das scheint bei den E-Fahrzeugen nicht der Fall zu sein, mit der Folge dass Kunden übervorteilt werden und Kaufentscheidungen treffen, die sie bei voller Kenntnis der Fakten höchstwahrscheinlich nicht getroffen hätten.
Mein Fazit ist deshalb: Die Augenhöhe zwischen Verkäufer und Käufer muss wiederhergestellt werden. Bestehende Regulierungen müssen auf ihre Eignung für diese Fälle überprüft werden. Sollten sie ungenügend sein, müssen Wege gefunden werden, wie diese Informationsasymmetrien zu Lasten der Konsumenten effizient und schnell beseitigt werden können.