Die Kabelnetzbranche hat kürzlich öffentlich Position für die Verwendung von Wiederbeschaffungsneuwerten bei der Regulierung von Preisen bezogen. Was bedeutet das?
Zunächst: Es geht um die kalkulatorische Buchhaltung, die strikte von der Erfolgsrechnung/Bilanzierung zu trennen ist. Hier werden Kosten kalkuliert, um Preise festzulegen. Jedes Gut, jede Dienstleistung verursacht bei der Erstellung Kosten, und zwar sowohl Kapitalkosten (eingesetztes Kapital muss amortisiert und verzinst werden) als auch Betriebskosten. Für die Kalkulation der Kapitalkosten können verschiedene Werte herangezogen werden:
- Wiederbeschaffungsneuwerte (wieviel müsste ich heute bezahlen, um die gleichen Anlagen wieder neu aufzubauen?),
- Anschaffungszeitwerte (wieviel bliebe heute übrig, wenn ich von Anbeginn weg linear über die Lebensdauer der Anlagen abgeschrieben hätte?), und
- Buchwerte (wie viel Kapital habe ich heute tatsächlich noch in den Anlagen investiert?)
sind einige Beispiele.
Werden nun Wiederbeschaffungsneuwerte in der Kalkulation verwendet, so bedeutet dies, dass in aller Regel höhere Publikumspreise resultieren – und deshalb kann ich die Haltung der Kabelnetzbetreiber nachvollziehen. Ein mögliches Korrektiv wäre der wirksame Wettbewerb: Wer aufgrund zu offensiver Kalkulation zu hohe Preise verlangt, wird vom Mitbewerber ausgestochen – und letztlich aus dem Markt gedrängt, ganz unabhängig davon, wie er abgeschrieben hat. Was aber, wenn eben kein Wettbewerb herrscht - was ist dann aus regulatorischer Sicht von Abschreibungen nach Wiederbeschaffungsneuwerten zu halten?
Bei mir landen Dossiers aus den Bereichen Energie, Telekommunikation, Wasser, Abwasser, Abfall, und vielen mehr, in welchen immer wieder dieselbe Forderung gestellt wird. Und: Es gibt Gründe, die für die Verwendung von Wiederbeschaffungswerten in der Kostenrechnung sprechen. So kann eine Unternehmung, die sich im Wettbewerb behaupten muss, mit Wiederbeschaffungsneuwerten zu kalkulieren versuchen. Die Überwälzung der kalkulatorischen Abschreibungskosten auf die Preise wird ihr dann gelingen, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Investitionen tätigt. Sie trägt aber auch das Risiko, bei Fehlentscheiden Verluste zu schreiben. Solche Unternehmen, die im Umfeld von wirksamem Wettbewerb agieren, werden aber grundsätzlich nicht reguliert. Der Staat soll und darf im Hinblick auf Preise nur intervenieren, wenn ein Marktversagen vorliegt.
Wie steht es denn nun aber mit regulierten Unternehmen? Natürliche Monopole sind die wichtigsten Beispiele aus meinem Tätigkeitsbereich. Dazu gehören auch die Stromnetze: Wir haben die letzten Jahre und Monate eindrücklich gesehen, dass in den Stromnetzen enorme stille Reserven versilbert worden sind, mit der Konsequenz starker Preiserhöhungen – und dabei lässt das StromVG (Stromversorgungsgesetz) noch nicht mal Wiederbeschaffungsneuwerte, sondern „nur“ Anschaffungszeitwerte zur Kalkulation zu. Die Diskussion um die Wertbasis – Wiederbeschaffungsneuwerte, Anschaffungszeitwerte, Buchwerte – ist eine sehr komplizierte. Ich bediene mich deshalb eines Beispiels:
Stellen Sie sich vor, Sie möchten ein Möbelhaus gründen und gingen zu den zukünftigen Kunden hin mit der Bitte, sie möchten Ihnen doch schon mal einen Vorschuss (entsprechend dem Anschlussbeitrag bei Infrastrukturnetzen) geben, quasi um dann später bei Ihnen einkaufen zu können. Selbstredend würden die ersten Jahre die Möbel dann auch noch etwas zu teuer verkauft, weil Ihr Möbelhaus zwar jetzt steht – es wurde ja von Ihren künftigen Kunden vorfinanziert – Sie aber auch schon das Geld erwirtschaften möchten, um das Haus in 50 Jahren ersetzen zu können.
Genau so funktioniert in unregulierten Monopolbereichen das Prinzip der Kalkulation auf Basis von Wiederbeschaffungsneuwerten – im Wettbewerb wäre das undenkbar, weil Sie den „Anschlussbeitrag“ entweder nicht erhalten würden oder sich beim Vertragsabschluss verpflichten müssten, den „Anschlussbeitrag“ bei der späteren Preisfestlegung zu berücksichtigen (d. h. tiefere Preise zu offerieren).
Als Preisüberwacher muss ich mich an den Regeln des Wettbewerbs orientieren. Das heisst: Was bereits durch den Kunden finanziert worden ist, wird nicht nochmals abgeschrieben und auch nicht verzinst. Deshalb wehre ich mich gegen die systematische Verwendung von Wiederbeschaffungsneuwerten. Im Stromversorgungsgesetz und in der Gesetzgebung zur Berechnung der Spitaltarife zu Lasten der Grundversicherung müssen im übrigen aus den obigen Gründen die Abschreibungskosten aufgrund von (tieferen) Anschaffungszeitwerten berechnet werden.
Bildquelle: flickr (Bolti22)