Oder: Warum die Krankenkassen unbedingt ein Antrags- und Rekursrecht bei allen Entscheidungen rund um die Medikamentenpreisfestsetzung haben sollten.
Wie kommen wir in der Schweiz zu «unseren» Medikamentenpreisen? Die Medikamentenpreise werden als Höchstpreise vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) festgelegt. Als Referenz dienen Auslandpreisvergleiche und Therapeutische Quervergleiche (d.h. Vergleiche mit ähnlichen Medikamenten in der Schweiz). Bedeutet das, dass wir schlussendlich ungefähr dasselbe zahlen wie Andere? Keinesfalls. Wie wir bei uns rechnen, lesen Sie am Ende dieses Blogs.
Wer zahlt, befiehlt. Diese Volksweisheit hat nahezu den Status eines Naturgesetzes aber – und das wissen viele nicht: In Bezug auf die Medikamentenpreise gilt sie eben nicht. Die Krankenkassen, die Zahler der Rechnung, haben keine direkte Eingriffsmacht. Die Patienten- oder Konsumentenschützer selbstredend auch nicht.
Ein wirksames Instrument, nämlich ein Rekursrecht für die Preisfestsetzung, hat einzig die Pharmaindustrie. Und hier sind wir bei den Hebeln: Das Bundesamt für Gesundheit steckt in einer misslichen Lage. Will es einen günstigen Preis im Sinne der Prämienzahler festlegen, dann muss es mit einem Rekurs der Pharma rechnen. Ein Gegengewicht - nämlich die Krankenkassen oder Patientenschützer als Vertreter der Prämienzahler - gibt es mangels Rekursrecht eben dieser nicht.
Theoretisch sind die vom BAG festgelegten Preise nur Höchstpreise, welche nicht im vollen Umfang verlangt werden müssen. Das ist jedoch eher Theorie. In der Praxis gibt es - da die Krankenkassen, und damit wir, sowieso zum Zahlen gezwungen sind - kaum Anreize für Apotheker und Ärzte, bessere Preise auszuhandeln. In der Folge sind die Höchstpreise des BAG in den allermeisten Fällen identisch mit den zu zahlenden Preisen.
Der festgelegte Preis ist jedoch nicht der einzige Einflussfaktor auf die Medikamentenkosten. Auch andere Entscheide im Zusammenhang mit den durch die Krankenkassen vergüteten Arzneimitteln beeinflussen die Kosten. Konkret heisst das, Einfluss haben auch die Aufnahme in die Kassenpflicht, die Streichung davon, Indikationserweiterungen oder –einschränkungen. Hier ist wichtig, dass von der Krankenversicherung nur wirksame, zweckmässige und wirtschaftliche Medikamente bezahlt werden (sogenannte WZW-Kriterien), wie es auch das Krankenversicherungsgesetz (KVG) vorsieht. Deshalb brauchen die Krankenversicherer und möglicherweise auch Patienten- und Konsumentenschutzorganisationen nicht nur ein Rekursrecht bei Preisfestsetzungen, sondern ein Antrags- und Rekursrecht für alle Entscheidungen des BAG im Zusammenhang mit kassenpflichtigen Medikamenten.
Rund 20 Prozent der Kosten der Grundversicherung sind Medikamentenkosten. Für die Entwicklung der Krankenkassenprämien ist es deshalb immens wichtig, dass die Preise angemessen sind und weder das Ergebnis unausgewogener Machtverhältnisse noch von unrealistischen Referenzpreisen. Es herrscht also vielseitiger Handlungsbedarf.
Die unausgeglichenen Machtverhältnisse haben einen grossen Einfluss auf die Prämienentwicklung. Um ein Gleichgewicht herzustellen, gibt es in meinen Augen zwei Möglichkeiten. Die offensichtliche und aus meiner Sicht wünschenswerteste Lösung wäre, dass mindestens die Krankenkassen ein Antrags- und Rekursrecht erhalten. So hätten sie ein wirksames Instrument, um bei Aufnahmen in die Kassenpflicht, bei Indikationserweiterungen bzw. -einschränkungen oder auch bei Streichungen von der Kassenpflicht und nicht zuletzt bei Preisänderungen Einfluss zu nehmen.
Die andere Alternative wäre, das Rekursrecht der Pharmaindustrie ebenfalls abzuschaffen.
Es ist Zeit zu Handeln.
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Hier der versprochene Exkurs: Viele Medikamente werden zuerst in den USA zugelassen und das aus gutem Grund. In den USA können auch astronomisch hohe Preise seitens der Pharma durchgesetzt werden. Auf die Listenpreise geben die Firmen zwar Rabatte, es gibt Schätzungen, welche von bis zu 40% ausgehen. Trotzdem haben die USA die höchsten Medikamentenausgaben pro Kopf. Leider hat dieses System einen unguten Einfluss auf andere Länder, die den offiziellen Listenpreis als Referenzpreis nutzen. Die Schweiz gehört nicht dazu. Aber wir referenzieren auf andere europäische Länder, die ihrerseits beispielsweise den US-Preis als Referenz für ihre Preise einbeziehen. Warum nutzen die Länder weiterhin die Listenpreise als Vergleich? Oftmals sind die Rabatte nicht öffentlich bekannt, so auch von vielen europäischen Ländern. Und weil sie selber ein Rabattsystem haben, hat der zu hohe Listenpreis als Referenz in diesen Fällen weniger negative Effekte auf die tatsächlich zu zahlenden Preise. In der Schweiz hingegen gibt es keine systematischen Rabatte. Rabatte sind in unserem Land die Ausnahme statt die Regel.
Wie rechnen wir nun genau? Für jedes Medikament werden ein Auslandpreisvergleich (APV) und ein therapeutischer Quervergleich (TQV) gemacht. Die Hälfte beider Werte bestimmt den neuen Fabrikabgabepreis.
Verglichen wird immer auf Basis des Fabrikabgabepreises (nicht des Publikumspreises). Der Auslandspreisvergleichswert wird aus dem Durchschnittspreis von neun Vergleichsländern - nämlich Deutschland, Österreich, Frankreich, Belgien, Niederlande, Dänemark, Grossbritannien, Schweden, Finnland ermittelt.
Der therapeutische Quervergleich (TQV) wird mit ähnlichen Arzneimitteln in der Schweiz (die zur Behandlung derselben Krankheit eingesetzt werden) gemacht. (Übrigens wäre auch dafür ein Antrags- und Rekursrecht für die Krankenkassen sinnvoll, da nicht immer ganz klar ist, mit welchen Arzneimitteln verglichen werden soll). Allenfalls kommt noch ein Innovationszuschlag dazu.
Der Publikumspreis ist also die Summe aus dem zuvor bestimmten Fabrikabgabepreis, der Vertriebsmarge, das heisst der Marge für die Apotheker bzw. selbstdispensierenden Ärzte, und der reduzierten Mehrwertsteuer von 2.5%.