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Pillen sind keine Schokolade. Sie werden nicht besser, wenn sie vergoldet sind.

Kennen Sie den Film «Groundhog Day» («Und täglich grüsst das Murmeltier»)? Wettermann Phil Connors aus Pittsburgh lebt in einer Zeitschlaufe gefangen und kann sie erst wieder verlassen, als er sich grundlegend verändert hat – gleichsam sein Karma verbessert hat. Was hat das mit dem Referenzpreissystem für Generika und wirkstoffgleiche Medikament zu tun? Nun - ich habe das Gefühl, dass wir auch mit den Medikamentenpreisen in einer Endlos-Schleife hängen geblieben sind: Alle Beteiligten wissen, dass unser bestehendes System nicht gut läuft, Änderungen werden vorbereitet, aber kaum geht es darum, konkrete Schritte zu machen, finden wir uns wieder auf Feld Nr. 1.
Das geht seit Jahren so.

Die Pharma, die eine leicht zu melkende, riesige Cash Cow zu verlieren hat, gibt Vollgas – und das mit Erfolg. Sie macht uns mehr oder weniger offen Bange: Wenn Ihr versucht, ähnliche Preise wie im restlichen Europa durchzusetzen, werden die Schweizerinnen und Schweizer leiden.

Erinnern Sie sich an das Bild vom Kaninchen vor der Schlange? Genau das ist der Reflex, der dann zuverlässig ausgelöst wird. Er hat allen Änderungsbestrebungen bisher den Garaus gemacht. Jüngstes Beispiel: Das Referenzpreissystem – eingesetzt und bewährt in den meisten Ländern Europas – hat es nicht durch den Nationalrat geschafft. Bleibt zu hoffen, dass der Ständerat den Mut hat, den Fakten mehr Gewicht zuzugestehen als den Schreckensszenarien der Pharma-Lobby.

Was sind die Fakten?
Im Medikamentenmarkt findet eine Kaufkraftabschöpfung in gewaltiger Dimension statt. Wir reden von einem Betrag in dreistelliger Millionenhöhe!
Wie ist das möglich?
Das Übel hat mehrere Wurzeln. Schauen wir die Generika genauer an: In der Schweiz werden die Preise mittels einer Abstandsregel festgelegt. Es wird ein Mindestabstand zum Preis des Originalmedikaments festgelegt. Dieser beträgt in Abhängigkeit vom Umsatz 10 bis 70 Prozent. Man überlässt es also den gewinnorientiert arbeitenden Pharmaunternehmen, einen Abstand zu wählen. Vorgegeben ist nur, dass er nicht unter dem Mindestabstand liegen darf. Wen wundert es eigentlich, dass bei dieser Regelung der Mindestabstand in den meisten Fällen als implizite Preisempfehlung interpretiert wird? Mich nicht – und die nach wie vor hohen Schweizer Generikapreise beweisen es. Halten wir also fest: Die Mindestabstandsregel erfüllt ihre Aufgabe nicht.

In Europa weitverbreitet und bewährt ist das Referenzpreissystem für Generika und wirkstoffgleiche Originalmedikamente. In diesem System vergütet die soziale Krankenversicherung für alle wirkstoffgleichen, patentabgelaufenen Medikamente den Preis eines günstigen Generikums. Hier liegt somit kein mathematisches Konstrukt zugrunde, das auf ein unrealistisches Pestalozzi-Verhalten von Pharma-Unternehmen hofft, sondern es gibt «nur» ein Preisschild für jeden Wirkstoff. Der Effekt: Der tiefere Referenzpreis wird zum Massstab – und es setzt Wettbewerb unter den Generikaherstellern ein. Amtlich müsste bloss noch die Preisobergrenze dieses Preisschilds festgelegt werden – am besten per Preisvergleich mit den ausländischen Generikapreisen.

Die geschürte Angst vor allfälligen Nachteilen ist unbegründet. Denn wir haben die Ausgestaltung des Systems in der Hand. Es ist ein bisschen wie mit einer Standardsoftware: Man entscheidet sich für ein System und danach wird es auf die individuellen Bedürfnisse angepasst. Bei uns könnte das z.B. heissen, im Normalfall wird, wenn vorhanden, ein Generikum abgegeben. Wenn die Ärztin oder der Arzt aber meint, dass das Originalmedikament für eine Patientin oder einen Patienten aus medizinischer Sicht besser ist, dann kann er dieses Gebot übersteuern. Auch die Versorgungssicherheit ist bei uns genauso gewährleistet wie überall sonst – wir würden mit dem System ja quasi «nur» nachziehen. Und nicht zu vergessen: Parallelimporte von patentabgelaufenen Wirkstoffen sind grundsätzlich erlaubt.

Fassen wir zusammen: Das Referenzpreissystem würde zu tieferen Preisen ohne Abstriche bei der Behandlungs- und Therapiequalität führen. In seinem Schlepptau sollten sich noch eine Reihe begleitender Massnahmen befinden, damit es seine volle Wirkung entfalten kann. Zum Beispiel müssen die bereits erlaubten Parallelimporte vereinfacht werden. Auch die vielen Hürden z.B. bei der Verpackung und der Darreichungsform oder der Dreisprachigkeit bei Beipackzetteln sollten reduziert werden. Hier gilt es zu prüfen, ob nicht auch die Digitalisierung zu Vereinfachungen führen kann. Eklatant und auf der Hand liegend ist es natürlich auch, bessere Anreize für die Abgabe von Generika zu schaffen bzw. Anreize, die das Gegenteil bewirken, abzuschaffen. Konkret hiesse dies, Apotheken bzw. selbstdispensierenden Ärztinnen und Ärzte sollten zur Generikasubstitution verpflichtet sein, ausser ein aus medizinischer Sicht wichtiger Grund spräche dagegen. Eine einheitliche Vertriebsmarge pro wirkstoffgleichem Medikament, die nicht vom Medikamentenpreis abhängt, würde zudem helfen, die Wahl der Ärzteschaft und Apotheken rein auf die Wirkung auszurichten und nicht auf den resultierenden Verdienst. Würden vermehrt Wirkstoffe statt Medikamente verschrieben, würde viel Fokus von den Produktmarkennamen genommen - zugunsten von deren Wirkung. All dies sollte auch für die sogenannten Biosimilars, also die Nachahmerprodukte von biologisch hergestellten Arzneimitteln, gelten.

Die Medikamentenpreise haben einen Anteil von mehr als 20% an unseren Krankenkassenprämien. Schweizweit kann schon über ein Viertel der Prämienzahler seine Krankenkasse-Prämie nicht mehr aus eigener Kraft finanzieren, in manchen Kantonen ist es sogar schon über ein Drittel. Die Steuerfinanzierung steigt und steigt. Wenn wir das System der selbstfinanzierten Kopfprämie aufrechterhalten wollen, führt kein Weg am Handeln vorbei.

Medizin und Kosten - Wer nicht hinsieht, riskiert unsere Gesundheit NEU mit Video (d/f)

Wollen wir nicht alle ewig leben? Natürlich bei bester Gesundheit. Koste es, was es wolle.

Diese kleine Ergänzung wollen wir uns leisten. Schliesslich sagt man auch: «Was nichts kostet, ist auch nichts wert.» Den gefühlten, ultimativen «Beweis» liefert die Tatsache, dass wir alle Länder kennen, deren Gesundheitswesen zwar günstiger aber augenscheinlich schlechter ist als unseres.

Der Unwille zum genauen Hinschauen und der schon fast kindliche Glaube, dass «teuer» = «gut» heisst, beschert uns seit Langem gutes Mittelmass zum Spitzenpreis. So weist die Schweiz im OECD-Ländervergleich die zweithöchsten Gesundheitsausgaben pro Kopf auf, aber bei der Behandlungsqualität oft bloss durchschnittliche Werte, wie auch eine kürzliche Studie des Preisüberwachers gezeigt hat*.

Ergo: Es gibt wohl keine direkte Korrelation zwischen «teuer» und «gut».

Das «koste es was es wolle» nimmt immer mehr Raum ein, denn die Kosten im Gesundheitswesen entwickeln sich wie der süsse Brei aus Grimms Märchen. Anders sieht die Sache hingegen bei den Löhnen aus, die können nicht Schritt halten.

In «Die Volkswirtschaft» haben Ökonomen des eidg. Finanzdepartments 2017 Szenarien für die Entwicklung der Ausgaben im Gesundheitswesen publiziert**.

(Die Erklärung zu den Referenzszenarien finden Sie hier.)

Bei jedem Szenario nehmen die Kosten bzw. Ausgaben in der obligatorischen Grundversicherung stark zu und in direkter Folge steigen die Krankenkassen-Prämien.

Wenn man davon ausgeht, dass es bei der Lohnentwicklung keine grossen Veränderungen geben wird, muss man darauf vorbereitet sein, dass immer mehr Menschen Prämienverbilligungen brauchen werden.

Schon die aktuelle Situation ist beängstigend:
Fast ein Drittel (27%) der Schweizerinnen und Schweizer waren 2019 bereits auf staatliche Prämienverbilligungen angewiesen. In einzelnen Kantonen betrug der Anteil 2019 bereits 36%.
Der Mittelstand muss einen immer höheren Anteil des verfügbaren Einkommens für KK-Prämien ausgeben. So bezahlt eine vierköpfige Familie mit zwei Kindern im schulpflichtigen Alter aktuell (2021) im schweizerischen Durchschnitt pro Jahr gute 11'000 Franken Prämien für die obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP).
Eine Trendumkehr der Kostenentwicklung ist nicht in Sicht.

 

«Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu belassen und zu hoffen, dass sich etwas ändert.» (Albert Einstein)

Wir wissen seit langem um das Problem, es gibt für vieles sogar Lösungsvorschläge aber eben – nichts passiert.

Warum? Wenn einer gewinnt, verliert ein anderer. Auf der einen Seite stehen wir, auf der anderen die Gesundheitsindustrie. Wenn sie ihre Interessen/Gewinne bedroht sieht, zieht sie ihr alles-stechendes-Ass aus dem Ärmel, das uns schwindende Qualität in der Versorgung voraussagt. Zu weiten Teilen hat diese Drohung viele bisherige Versuche für mehr Kosteneffizienz gebodigt. «Das Kaninchen vor der Schlage» wäre ein guter Vergleich. 

Die Frage ist, wie lange wir uns die «wenn wir etwas ändern, müssen wir vielleicht alle leiden»-Starre noch leisten können.

Wechselt man aus der Starre zu mutigem Hinsehen, stehen einem viele unnötige (unnötig = kostet viel, bringt nichts oder schadet uns sogar) Kostentreiber klar vor Augen. Ein Drama in vielen Akten.

Doch wenn der/die Tell nun endlich das Rückgrat strecken würde und zur Tat schreitet, dann könnten wir am Ende immer noch beides haben: Ein qualitativ hochstehendes Gesundheitswesen und Geld zum Leben.

Doch bleiben wir nicht abstrakt, sondern werden wir konkret: Ich werde Ihnen über die nächsten Wochen einige wesentliche Akte dieses Dramas genauer vorstellen. Sie heissen:

«Pillen sind keine Schokolade. Sie werden nicht besser, wenn sie vergoldet sind.»

«Einen Porsche zahlen und einen VW bekommen»

«Gaming the System»

«Rette sich wer kann»

«Die Alpenfestung»

«Mengenrabatte sind kein Angriff auf föderale Strukturen»

«Pillen sind keine Schokolade II»

Es wäre vermessen, Ihnen eine angenehme Lektüre zu wünschen. Also wünsche ich uns starke Nerven und vor allem Tatkraft. Viel Zeit bleibt uns nicht.

 

* Vgl.: OECD (2019): Health at a Glance 2019, OECD Indicators, OECD Publishing, Paris, May 2020 sowie Preisüberwachung: Bericht zu Behandlungsqualität und Kostenniveau von Schweizer Spitälern im Ländervergleich, Bern, August 2016.
** Vgl. Th. Brändle und C. Colombier: Nicht nur die Alterung führt zu Zusatzlasten im Gesundheitswesen, Die Volkswirtschaft 3/2017, Bern 2017.