Man glaubt es nicht, aber offensichtlich ist es möglich, für beinahe alles– wenn auch an den Haaren herbei gezogene – Gründe zu finden. Der jüngste Streich aus dieser Rubrik kommt von den Agrar-Lobbyisten. Worum es geht? Ein neuer Anlauf, das ohnehin stark geknebelte Cassis de Dijon-Prinzip für Lebensmittel endgültig los zu werden.
Swiss Finish oder: Die angezogene Handbremse
Die Fakten: Das Cassis de Dijon Prinzip ist eine Erfindung der EU und besagt, dass aus einem Mitgliedstaat stammende Produkte, die dort vorschriftsmässig hergestellt wurden, überall in der EU in Verkehr gesetzt werden dürfen. Einschränkungen sind nur aus übergeordneten öffentlichen Interessen möglich.
Die Schweiz hat dieses Prinzip mit gewissen Einschränkungen 2010 auch für Lebensmittel für sich übernommen. Man könnte auch sagen: Bei uns gilt das Prinzip mit angezogener Handbremse. Über die gewissen Einschränkungen wacht das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV).
Im Ergebnis haben in den letzten 5 Jahren diverse, unerschrockene Importeure 179 Gesuche gestellt. Rund ein Drittel wurde wieder zurückgezogen. Mutmasslich, weil Aufwand und Ertrag in keinerlei Verhältnis stand. Ein Viertel, nämlich 47 Gesuche, wurden gutgeheissen und 36 weitere wurden als unwürdig für Schweizer Mägen klassifiziert und mussten draussen bleiben.
Es gibt zwei Möglichkeiten die Sache zu beurteilen.
Die Erste verleitet mich zum Urteil: Gut gemeint, ist oft das Gegenteil von gut gemacht! Entweder will man das Prinzip, oder eben nicht. Der derzeitige Zustand, ist eher ein Versuch unter dem Namen Rosinenpickerei: Ihr ausländischen Unternehmen dürft Eure Lebensmittel hier verkaufen aber nur, wenn ihr unseren bürokratischen Zehnkampf besteht.
Die Zweite: Lobbyisten haben das Prinzip so ausgebremst, dass eigentlich nicht viel mehr als der Name davon übrig geblieben ist. Neben einer effektiven Knebelung, wird nun noch eine Qualitätsstrategie ins Feld geführt. Vater Staat soll uns also vorschreiben, was qualitativ hochwertig genug ist, um auf Schweizer Tischen zu landen. Es tut mir leid, aber der Zynismus gegenüber jenen, die finanziell mit dieser Qualitätsstrategie nicht mithalten können, beelendet mich.
Der Nationalrat schliesst sich nun der Bauern-Lobby an und plädiert für die Abschaffung von Cassis de Dijon im Lebensmittelbereich. Ich kann diese Entscheidung nicht nachvollziehen.
Die Bürger dieses Landes sind durchaus in der Lage zu entscheiden, was sie essen wollen bzw. was nicht. Reibekäse mit Stärke? Für mich lieber nicht. Schinken mit mehr Wasseranteil? Da bin ich schmerzfrei. Was ich sagen will: Wir Schweizer sind mündige Konsumenten. Wir brauchen niemanden und schon gar keinen Staatsapparat, der uns vorschreibt, was wir essen dürfen und was nicht. Was kommt denn dann als Nächstes?
- Dürfen wir nicht mehr in Italien Ferien machen, weil man dort für Schweizer Mägen nicht zugelassene Inhaltsstoffe in der Pizza anbietet?
- Oder darf man in Deutschland wegen nicht Schweiz-konformer Tierhaltung nur noch vegetarisch essen?
Jeder Einwohner dieses Landes sollte die Wahl haben und sich eine eigene Meinung bilden. Unsere Steuergelder können sicher sinnvoller ausgegeben werden als für Regulierungen, wie hoch der Fruchtanteil im Sirup zu sein hat. Inhaltsstoffe und Allergene müssen auch in der EU überall zwingend deklariert sein. Man verkauft die Konsumenten richtiggehend für dumm, wenn man ihnen nicht zutraut, selber zu entscheiden.
Statt in Cassis-de-Dijon immer nur den Teufel zu sehen, gebe ich zu bedenken:
Richtig angewendet, kann es zu einer grösseren Produktvielfalt führen. Diese belebt den Wettbewerb und optimiert die Preise. Der Einkaufstourismus würde dadurch sehr wahrscheinlich an Attraktivität verlieren mit der Folge, dass mehr im Land gekauft würde.