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Angebotsausbau im öV = Preiserhöhungen für die Reisenden?

In seinem Positionspapier «Mittelfristige Finanzierung des regionalen Personen- und Ortsverkehrs» hält der Verband öffentlicher Verkehr (VöV) fest, dass die Branche «in einem mittleren Szenario mit einem (teuerungsbereinigten) Kostenanstieg von rund 30 Prozent im Zeitraum von rund 10 Jahren bis 2035» rechnet. Die Branche geht gemäss Positionspapier davon aus, dass steigenden Kosten weiterhin zur Hälfte von der Kundschaft und zur Hälfte von der öffentlichen Hand getragen werden.

Mit Sicherheit sagen kann man: So einfach wird es nicht – und zwar bei keiner der beiden Hälften.

Die Branche plant ihr Angebot zu verbessern und deutlich auszubauen – das kostet.

Grundsätzlich wäre dies mit Blick auf die Preise kein Problem, wenn die öV-Nutzung im selben Umfang zunähme wie die Kosten steigen und der prozentuale Besteller-Anteil unverändert bliebe. Das sollte immer dann der Fall sein, wenn durch den Angebotsausbau Kundschaft-Bedürfnisse erfüllt werden.

Doch genau diese zusätzliche Nachfrage droht der Pferdefuss zu werden. Denn der Preis ist ein Schüsselkriterium bei der Mobilitätswahl. Das betont auch eine kürzlich erschienene Studie Universität Luzern, die schreibt: «Für die Schweizer Bevölkerung ist der Preis bei der Wahl eines Verkehrsmittels entscheidender als die Nachhaltigkeit (…)». Eine repräsentative Befragung («Prix Litra» Nr. 6, Seite 10) zeigt: Dass die überwiegende Mehrheit, nämlich zwei Drittel der Kundinnen und Kunden, eine Preisreduktion um 10% einem Mehrwert aus Zeitersparnis oder Komfort (Verfügbarkeit und Komfort der Sitzplätze, Inneneinrichtung) vorziehen.

Der Preis des öV ist im Vergleich zu den Kosten eines Autos (motorisierter Individualverkehr (MIV)) in den letzten Jahren immer weiter gestiegen. Die Auswertung ausgewählter Strecken zeigt, dass sich die Preise für den öV seit 1990 verdoppelt haben, die Kosten für ein Auto hingegen, haben in der gleichen Zeitspanne lediglich um den Faktor 1.24 zugelegt. Die Abgeltungen der Besteller sind seit Jahren ungefähr konstant (ohne Corona-Hilfen). Die Nutzerfinanzierung hingegen ist in den letzten Jahren politisch gewollt ausgebaut worden (Trassenpreiserhöhungen um insg. 300 Mio. CHF pro Jahr).

In der Folge ist der Anteil des öVs am Gesamtverkehr seit 10 Jahren trotz Angebotsausbauten nicht gestiegen, sondern im besten Fall konstant geblieben ist.

Die nachfolgende Grafik zeigt die offene Schere beim Vergleich der Kosten Strasse vs. Schiene:

https://www.datawrapper.de/_/UIcRc/?v=2

Es steht also zu befürchten, dass die geplanten Ausbauten schon beim jetzigen Preisniveau nicht allein über steigende Nutzerzahlen finanziert werden können. Die Branche schreibt dazu: «Nationale und regionale Tarifanpassungen sind möglich, wenn sich die Angebotsqualität markant verändert oder ein klarer politischer Wille umgesetzt werden soll. Tariferhöhungen zur Kostenüberwälzung auf die Fahrgäste sind zudem möglich, wenn dies transparent und schlüssig dargelegt werden kann (Preisüberwacher).»

Obwohl die Preise eigentlich von den Transportunternehmen festgelegt werden, sind es am Ende doch die Besteller (Bund, Kantone, Gemeinden), die über die Festlegung ihrer Beiträge, die Preise für die Kundschaft bestimmen.

Die Rechnung war bisher immer die: Operative Gesamtkosten – Abgeltungen = Anteil Kundschaft. Die Kundschaft als dritte Partei im Bunde, hatte ihrerseits wenig bis keine Möglichkeiten Einfluss zu nehmen – weder auf das Angebot noch auf die Preise. Ich nutze mit Absicht die Zeitform der Vergangenheit, denn die Gleichung hat sich aus Sicht der Kundschaft geändert.

Die Preise des Regionalverkehrs sind auf einem Niveau angekommen sind, auf dem die in der Bundesverfassung vorgeschriebene Angemessenheit der öV-Preise tangiert wird.

In meiner Regulierungspraxis lege ich das Angemessenheitskriterium wie folgt aus: «Gratis» ist ebenso wenig angemessen, wie eine übermässige Diskrepanz zwischen dem Preis und der in Anspruch genommenen Leistung (also der Sitz pro Person). Für den Regionalverkehr ist die Obergrenze des «Angemessenen» erreicht: Wenn die Billett- und Abo-Einnahmen den (operativen) Kosten von zwei Sitzplätzen entsprechen. In anderen Worten: Wenn halb gefüllte Fahrzeuge gesamthaft alle Betriebskosten decken (ohne Anteil der Besteller), dann ist die preisliche Obergrenze für die Kundinnen und Kunden erreicht.

Warum zwei Sitzplätze bzw. ein halb gefüllter Zug? Weil wir mit Durchschnittswerten rechnen müssen. Ein Zug kann nicht mehrmals täglich an die zu erwartende Anzahl Reisender angepasst werden. Die Richtschnur ist: Ein voll ausgelasteter Zug auf dem Hinweg (z.B. morgens zur Arbeit) und leerer Zug auf dem Rückweg in die Gegenrichtung. Diese durchschnittliche 50%-Normauslastung ist übrigens keine Vorgabe, die die Transportunternehmen erreichen sollen oder müssen. Sie dient lediglich zur Berechnung der Maximal-Preise, die noch als angemessen gelten können.

Die Anwendung dieser Methode auf die heutigen Preise zeigt, dass diese gerade noch im tolerablen Bereich liegen. Raum für Preiserhöhungen gibt es demnach kaum. (Einzig in Ausnahmefällen wie z.B. explodierenden Strompreisen, könnten Preiserhöhungen noch möglich sein.)

Mehrkosten, die durch Angebotsausweitungen entstehen und denen keine entsprechende Nachfrage gegenübersteht, können nicht mehr – quasi automatisch – auf die Kundinnen und Kunden überwälzt werden. Dadurch wird sichergestellt, dass die Kundinnen und Kunden hauptsächlich für die Inanspruchnahme ihrer Leistung zahlen und die Besteller finanziell den Service Public sicherstellen. Ausserdem dient die Regulierung auch dem Ziel, die dem öV zugedachte Rolle nicht zu gefährden, indem zu hohe Preis dessen Nutzung verhindern.

Als Folge der Regulierung muss die erwähnte Gleichung umgestellt werden. Auf der Hand läge: Operative Gesamtkosten – Anteil Kundschaft = Abgeltungen. Doch auch hier stossen wir auf ein Problem. Die Besteller – als Zahler der Abgeltungen – haben im aktuellen Vernehmlassungsbericht darauf hingewiesen, dass sie künftig nicht mehr bezahlen wollen als bisher. In anderen Worten: bestellen ja gern, zahlen nein danke.

https://datawrapper.dwcdn.net/YFdcP/3/

Höchstbeiträge seitens der Kundschaft und fixe Beträge der Besteller, heisst nichts anderes als das die resultierende Summe das max. Budget für die operativen Kosten im Regionalverkehr bestimmt.

Bedeutet dies Kahlschlag beim Angebot? Nicht unbedingt. Es bedeutet, dass bestehende Angebote und neue Angebote – wie bisher – einer Wirtschaftlichkeitsprüfung unterzogen werden. Ist die Auslastung zu gering ist (10 oder 20%), so müssen sich die Besteller fragen, ob sich die eingesetzten Gelder rechtfertigen lassen. Die kalkulatorische Auslastung, die der Preisüberwacher zugrunde legt, ist eine rein rechnerische Grösse und keine Forderung an die Branche. Es können auch weiterhin Linien mit Bussen fahren, die beispielsweise nur zu 15% ausgelastet sind.

Fakt bleibt: Der öV macht nur Sinn als Massentransportmittel. Deshalb muss sich die «Masse» ihn auch leisten können und wollen. Schaut man die Grösse der Scherenöffnung zwischen den Kosten bzw. Preisen des MIV und öV an, wird klar, dass Preiserhöhungen dem Ziel des Massentransports deutlich abträglich sind.

Für die nächsten 10 Jahre steht ein massiver Angebotsausbau im Raum bei geplant unveränderten Bestellerbeiträgen und begrenzten Beiträgen der Kundschaft. Diese Gleichung geht nicht auf und da es bei der öV-Bestellung keine Gratis-Retouren gibt, wenn man an der Kasse merkt, dass das Geld nicht reicht, sollten wir genau jetzt darüber reden. Aus meiner Sicht ist das zuständige Bundesamt im UVEK-Departement gefordert.

Weitere Informationen zum Thema:
25.08.2024, Sonntagszeitung: «Alarmruf aus den SBB: Wichtigster Geldtopf für Bau und Unterhalt ist «in Schieflage»
14.08.2024, Sonntagszeitung: «SBB kritisieren milliardenteure Ausbauten ohne Fahrplankonzept»
05.08.2024, Blick: Angebotsausbau im Regionalverkehr = höhere Preise? (Kolumne)